von buxtebrawler » 5. Dez 2014, 14:03
„Ihr habt auch ein Recht auf euren Teil!“
Gegen Ende seiner Karriere drehte der italienische Filmemacher Lucio Fulci im Jahre 1988 mit dem Horrorfilm „When Alice Broke the Mirror“ noch einmal einen Film mit erhöhtem Splatteranteil, der nicht viel mit den unsäglichen Billigheimern gemein hat, die Fulci im selben Zeitraum für das italienische Fernsehen drehen sollte.
Lester Parson (Brett Halsey, „Die Rache des Ungeheuers“) hat seine Spiel- und Wettsucht nicht im Griff, die ihn in den Ruin zu treiben droht. Um der Pleite entgegenzusteuern, bändelt er per Videokontaktanzeigen mit alleinstehenden Frauen an, die er ausnimmt und anschließend umbringt. Doch sein psychischer Zustand wird immer desolater, die Pannen nehmen zu und schließlich gerät er an die Falsche…
Es ertönt die Radioübertragung eines Pferderennens. Lester macht es sich zum Essen bequem und verzehrt ein großes Steak. Als die Kamera ihm schließlich in den Keller folgt, wird ersichtlich, dass er es offenbar aus dem Oberschenkel einer weiblichen Leiche geschnitten hatte – einer Leiche, die er nun genüsslich mit einer Kettensäge zerlegt und sich dabei an klassischer Musik ergötzt. Die Leichenteile dreht er durch den Fleischwolf und wirft sie den Schweinen vor. Soweit zur ersten Charakterisierung Lesters als spielsüchtigem Psychopathen. Während die Polizei die Leiche identifiziert, redet er mit einem Kassettenrekorder, bevor er neue bizarre Kontaktanzeigen konsultiert und sich eine nicht unbedingt gängigen Schönheitsidealen entsprechende Dame ins Haus holt. Er verabreicht ihr schließlich Gift, erschlägt sie brutal und packt ihren Kopf in den Ofen, wo er zerfließt. Ja, Fulci holt für „When Alice Broke the Mirror“ noch einmal die Splatterkeule raus, bevorzugt dabei jedoch ein nicht sonderlich hysterisches Erzähltempo und fokussiert sich primär auf die Hauptrolle und ihre offenbar labile Psyche. So wird der Film aus Lesters Sicht erzählt, was bedeutet, dass der Zuschauer genauso wenig (oder noch weniger) als er zu unterscheiden weiß, was real ist und was sich lediglich in seinem Hirn abspielt. So führen Lesters eigenartige Gespräche mit einem Alter Ego und das Auftauchen eines Doppelgängers ein Stück weit ins Surreale, wird die strenge Logik von Lesters Gewalttaten nach und nach unterwandert und kontrastiert. Als ihn ein Berber dabei beobachtet, wie er die Leiche seines jüngsten Opfers verschwinden lässt, macht Lester kurzen Prozess und überfährt ihn mit seinem Auto. Dabei hat er leichtes Spiel, denn aus welchem Grund auch immer läuft das Opfer auf gerader Straße vor ihm weg, statt in den angrenzenden Wald abzubiegen. Doch in den Fernsehnachrichten heißt es im Anschluss, dass die Leiche gefunden worden wäre und der Berber ausgesagt hätte – was ist hier Realität?
Lester hat keine Zeit, sich allzu lange damit auseinanderzusetzen: Geld muss ran und damit eine neue Frau. Er lernt die titelgebende Sängerin Alice (Ria De Simone, „Flotte Teens jetzt ohne Jeans“) kennen, die zwar permanent singt, mit ihrem hohen C jedoch keinen Spiegel zum Zerbersten bringt. Zunächst schlagen sich beide noch aus Spaß gegenseitig, doch schließlich erdrosselt Lester sie, schnallt ihre Leiche auf den Beifahrersitz und gerät prompt in eine Polizeikontrolle. Szenen wie diese sind bestimmt von einem bösen schwarzen Humor, den manch Zuschauer als zynisch auffassen könnte, der letztlich dem Film jedoch eher etwas seiner Härte beraubt, andererseits die Absurdität des Gezeigten, insbesondere der kruden Vorgehensweise Lesters, unterstreicht. Nachdem er erneut beim Pokern verliert, telefoniert er gar mit seinem „Doppelgänger“, gleitet immer weiter in die Schizophrenie ab. Die Spaltung seiner Persönlichkeit vollzieht sich letztlich im Verschwinden seines Schattens, nachdem er die nächste Frau, Virginia (Zora Kerova, „Man-Eater“) ihr Name, kennengelernt hat. In der „Tagesschau“ taucht zu allem Überfluss auch noch ein (unglaublich schlechtes) Phantombild von ihm auf, bevor Fulci im Finale die Idee mit dem Schatten weiter ausbaut, indem er ihn zu Lester sprechen lässt. Ein interessanter Kniff, der einen gemessen an Fulcis Großtaten eher durchschnittlichen, etwas uninspiriert wirkenden Film besiegelt, der jedoch in Fulcis durchwachsenem Spätwerk durchaus noch positiv auffällt und mit Brett Halsey den chargierenden Damen einen passablen Schauspieler gegenüberstellt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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